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Die Schuld des weißen Mannes. Die Causa Winnetou und andere Formen von Cancel Culture

Der Ravensburger Verlag nahm vor wenigen Tagen das Jugendbuch Der junge Häuptling Winnetou aus dem Sortiment, das anlässlich des Kinostarts eines gleichnamigen Films publiziert wurde. Als Grund wurden Vorwürfe genannt, die von sogenannten Betroffenenvereinigungen im Internet erhoben wurden. Aus ihren Reihen wurde reklamiert, dass die Darstellung der indigenen Bevölkerung der USA nicht der Realität entspreche. Die Darstellung verletze deshalb die Gefühle der Betroffenen. Zudem handele es sich um „kulturelle Aneignung“, da nicht die Indigenen, sondern Weiße das Buch verfasst hätten. Nun könnte man entgegnen, dass kulturelle Aneignung eine wichtige Kulturtechnik sei, da in der Menschheitsgeschichte nicht jeder Stamm das Rad beständig neu erfunden, sondern stets auf die brauchbaren Erfindungen der Nachbarstämme zurückgegriffen habe. Man könnte auch darauf verweisen, dass die Faszination für fremde Kulturen ein Zeichen der Wertschätzung sei und im Kulturbetrieb als normal gilt. Wenn japanische Musikerinnen Vivaldi in einer deutschen Konzerthalle spielen und dabei westliche Mode tragen, hält niemand dies für anstößig. Und letztendlich hätte man den Aktivisten entgegenhalten müssen, dass ein Roman keine wissenschaftliche Abhandlung darstellt. Nichts von alledem taten die Mitarbeiter des Verlags. Sie bekundeten vielmehr umgehend tiefe Reue, entschuldigten sich wortreich und gelobten fürderhin Besserung.

Man könnte dieses Einknicken und den vorauseilenden Gehorsam gegenüber einer sich selbst legitimierenden Aktivistengruppe als unterhaltsame Posse abtun, wenn sie singulär wäre. Das ist allerdings nicht der Fall. 

Die Ereignisse häufen sich. In Museen wurden Bilder abgehängt, weil Lobbygruppenvertreter sie als sexistisch ansahen, die English Touring Opera ent- ließ weiße Musiker, weil sie aufgrund ihrer Hautfarbe nicht den geforderten Vielfaltskriterien entsprachen, und die Leitung der Humboldt-Universität sagte kürzlich den Vortrag einer Doktorandin ab, weil er das Thema der biologischen Zweigeschlechtlichkeit behandeln sollte.

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